Rosen aus dem Süden, op. 388 für Klavier, Harmonium und Streichquartett (1921) >>> Quellen

Lagunenwalzer, op. 411 für Klavier, Harmonium und Streichquartett (1921) >>> Quellen

Kaiser-Walzer, op. 437 für Flöte, Klarinette, Streichquartett und Klavier (1925) >>> Quellen

»Schönberg hat wieder eine herrliche Idee: […] einen Verein zu gründen, der es sich zur Aufgabe macht, Musikwerke aus der Zeit ›Mahler bis jetzt‹ seinen Mitgliedern allwöchentlich vorzuführen.« (Alban Berg an seine Frau Helene, 1. Juli 1918) Nach dem Erfolg von zehn öffentlichen Proben zur Kammersymphonie Arnold Schönbergs in Wien und als unmittelbarer Reflex seiner Unterrichtstätigkeit im Seminar für Komposition an den reformpädagogischen Schwarzwaldschen Schulanstalten entstand das Konzept zu einer neuartigen Veranstaltungsform der Wiener Schule. In der ersten konstituierenden Generalversammlung des »Vereins für musikalische Privataufführungen« im Dezember 1918 wurde unter der Präsidentschaft Arnold Schönbergs ein Vorstand von 19 Mitgliedern seines Wiener Schüler- und Freundeskreises bestätigt. Der Verein setzte nicht nur als Pflegestätte von Novitäten sondern auch durch seine unkonventionelle Struktur neue Maßstäbe: Geheimhaltung des genauen Programms (um einen »gleichmäßigen Besuch zu sichern«); Wiederholung von Werken, nichtöffentlicher Charakter der Vereinskonzerte; Verbot von Beifalls- oder Missfallensbekundungen, um »Künstlern und Kunstfreunden eine wirkliche und genaue Kenntnis moderner Musik zu verschaffen«. Das Werk sollte für sich sprechen – unprätentiös, uneitel, von Vortragsmeistern mit Sorgfalt einstudiert, Verständlichkeit neuer Musik als einziger anzustrebender Erfolg. Der korrumpierende Einfluss der Öffentlichkeit wurde von Schönberg abgelehnt, im Verein herrschte somit kategorisches Reklameverbot. Zu Beginn fanden die Konzerte im Festsaal des Kaufmännischen Vereins in der Johannesgasse, bis Mai 1919 im Kleinen Musikvereinssaal und bis Mitte 1920 im Wiener Konzerthaus statt. Nach einer kurzen Vereinstätigkeit im Club Österreichischer Eisenbahner in der Nibelungengasse wurden die Konzerte ab Januar 1921 in den von Adolf Loos gestalteten Schwarzwaldschen Schulanstalten in der Wallnerstraße veranstaltet. Die vorwiegend jungen Interpreten wurden in Probespielen ermittelt, finanzielle Grundlage der Konzerte bildeten die in Klassen abgestuften Mitgliedsbeiträge.
Im November 1919 wurde nach nur einjährigem Bestehen in den Vereinsmitteilungen eine Repertoireliste von insgesamt 27 zeitgenössischen Komponisten veröffentlicht, darunter Max Reger, Claude Debussy, Richard Strauss und Igor Strawinsky. Aufgrund der steigenden Inflation der Nachkriegszeit fanden ab Herbst 1920 neben den regulären nichtöffentlichen Vereinsabenden für Mitglieder auch öffentliche Propagandakonzerte statt, welche der Aufstockung der Vereinskasse dienen sollten.
Zu einem musikhistorisch legendären Ereignis kam es am 27. Mai 1921 anlässlich eines »Außerordentlichen Abends« mit vier Walzern von Johann Strauß in der Bearbeitung von Anton Webern, Alban Berg und Arnold Schönberg. Nach dem Konzert, bei dem die Komponisten auch als Interpreten agierten (Berg: Harmonium, Schönberg: 1. Geige, Webern: Violoncello), sollten die autographen Manuskripte versteigert werden, um die finanziellen Mittel für weitere Vereinsabende hereinzubringen. Die Proben wurden in fünf Einheiten zu je fünf Stunden abgehalten, Eintrittskarten in Form von Programmblättern durch die Interpreten verkauft. Nicht nur die Kuriosität der Stilantipoden Strauß / Wiener Schule-Trias, sondern auch Schönbergs humorvolle Conférence sollten zum Erfolg des Abends wesentlich beitragen. Alban Berg berichtete am 2. Juni 1921 seinem Kollegen Erwin Stein: »Die Walzer klangen durchwegs fabelhaft gut […]! Schönbergs Instrumentation überragte natürlich die meine weit. Ich hätte freilich nicht so viel gewagt. Steuermann zum Beispiel, der auf eine Bemerkung Schönbergs, daß sich jeder seine Stimme zu Hause anschauen müsse, lächelte, erhielt von Schönberg einen wahnwitzig schwer gesetzten Klavierpart, der freilich prachtvoll klang.« Bergs Walzer-Arrangement wurde mit frenetischem Applaus gewürdigt, den Schönberg ausnahmsweise zuließ, um die Stimmung zu heben und die Sensibilität der zahlungswilligen Autographenkäufer zu steigern. Bei der vom Publikum verlangten Wiederholung von Weberns »Schatzwalzer« aus dem »Zigeunerbaron« wechselten Schönberg und sein Schüler sowohl Pult als auch Instrument. Bei der anschließenden Versteigerung brachte Bergs Manuskript 5.000, Schönbergs Partitur der »Rosen aus dem Süden« 17.000 Kronen (die im Konzert verwendeten Stimmen hatte Hanns Eisler hergestellt) und der »Lagunen-Walzer« 14.000. Bei Weberns »Schatzwalzer« versuchte der Vereinspräsident selbst den Preis hinauf zu lizitieren und blieb gegen seine Absicht bei 9.000 Kronen selbst als Höchstbieter zurück.
Die Bearbeitungspraxis des Vereins entsprang zunächst ökonomischen Überlegungen, zumal man sich die Aufführung von Orchesterwerken personell und finanziell nicht leisten konnte. Im Prospekt des »Vereins für musikalische Privataufführungen« erläuterte Alban Berg die Reduktion auf Arrangements für kleinere Ensembles, Klavier zu vier Händen oder zwei Klaviere: »Es ist nämlich auf diese Weise möglich, moderne Orchesterwerke – aller Klangwirkungen, die nur das Orchester auslöst, und aller sinnlichen Hilfsmittel entkleidet – hören und beurteilen zu können. Damit wird der allgemein übliche Vorwurf entkräftet, daß diese Musik ihre Wirkung lediglich ihrer mehr oder minder reichen und effektvollen Instrumentation verdanke und nicht auch alle die Eigenschaften besäße, die bisher für eine gute Musik charakteristisch waren: Melodien, Harmoniereichtum, Polyphonie, Formvollendung, Architektur etc.«
Der eigenkompositorische Anteil an den Bearbeitungen konnte im Verein von Werk zu Werk divergieren und konzentrierte sich bei den Strauß-Arrangements auf eine ausgefeilte Instrumentationstechnik, die das Wiener Espressivo deutlich herausstrich. Als Instrument für die Farbgebung der Bearbeitungen wurde das Harmonium eingesetzt, hier als Substitut für den Bläsersatz. Pläne, für das Kammerorchester des Vereins ein eigenes Harmonium bauen zu lassen, scheiterten an den hohen Kosten von 200.000 Kronen. Man verwendete daher Schönbergs eigenes Instrument, dessen Stimmung 438 Hz betrug und brachte es aus seinem Mödlinger Domizil für Proben und Konzerte nach Wien. Die Auswahl der Strauß-Kompositionen nahm Vereinspräsident Schönberg selbst vor und hielt sich hierbei an eine im Leipziger Verlag Cahn gedruckte Anthologie der beliebtesten Strauß-Walzer im Klavierauszug.
Das autographe Manuskript zum »Lagunen-Walzer« ist seit dem Vereinskonzert verschollen; laut Erinnerung von Schönbergs Schüler Josef Rufer wurde es bei der Versteigerung vom Schatzmeister des Vereins, Arthur Prager, erworben. Seit einer von Josef Rufer organisierten weiteren Aufführung der Bearbeitung am 12. Januar 1958 im Großen Sendesaal des Funkhauses Hamburg war auch über den Verbleib einer zeitgenössischen Abschrift sowie der Stimmen nichts bekannt.
Bei der Jubiläumsveranstaltung des Norddeutschen Rundfunks in der Reihe »Das neue Werk« unter der Leitung von Hans Rosbaud wurde ein Querschnitt von zum Teil erstmals öffentlich zu hörenden Werken Schönbergs aus allen Kompositionsperioden gegeben, darunter auch die Uraufführung des »Jakobsleiter«-Fragments und des Chorwerks »Israel exists again«. Schönbergs Witwe Gertrud sandte dem NDR die unpublizierten Werke ihres Mannes in Kopien; Josef Rufer hatte die Manuskripte zuvor in einem Werkverzeichnis katalogisiert und darauf basierend die Programmdramaturgie gestaltet. Erst Anfang 2005 wurde das Aufführungsmaterial aus der Vereins-Bibliothek im Nachlass von Herbert Hübner, eines für Neue Musik verantwortlichen Redakteurs des NDR, entdeckt (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg). Die nach der autographen Partitur entstandene Kopistenabschrift (Josef Waschaurek, Wien), die den Stempel des »Vereins für musikalische Privataufführungen« trägt, bildet die Grundlage für die Erstausgabe der Strauß-Bearbeitung von Arnold Schönberg bei Belmont Music Publishers, Pacific Palisades (2005).

Therese Muxeneder
© Arnold Schönberg Center